Kinder ab drei gehen mir auf die Nerven. Sie fragen unentwegt: Wozu? Weshalb? Wieso? Und vor allem „Warum?“. Inflationär. Uferlos. Warum dieses, warum jenes? Kaum können sie sprechen, machen sie uns Volljährigen das Leben zur Hölle. Kann die kleinen Gören niemand stoppen? Ihnen die öffentliche Rede verbieten. Oder nur dann erlauben, wenn kein Fragezeichen am Satzende lauert? Fesseln und knebeln ist wenig zeitgemäß. Aber es muss doch wirksame Methoden geben. Pädagogisch wertvoll versteht sich. Eigentlich bin ich nur neidisch.

Als Erwachsener darf man nicht mehr fragen. Man muss Antworten haben. Auf alles. Egal, ob man was weiß oder nicht. Masochismus, das lustvolle Zelebrieren schwacher Momente, findet längst nicht mehr allein in schmuddeligen Kellergewölben statt zum satten Knall der neunschwänzigen Katze, sondern multimedial geadelt bei Jauch, Pilawa, Kai Pflaume und Dr. von Hirschhausen. Ein abstrakter Anspruch an Universalgelehrtheit hat sich quer durch die Programme hinein in bundesdeutsche Wohnzimmer gemogelt – und ein ganzes Volk macht mit. Wohl wissend, dass Scheitern zum Spiel gehört. Wer ist die schlauste Deutsche, der geschickteste Millionenretter, die talentiertesten Alleswisser – und überhaupt: Ist etwa noch jemand ohne Quizgewinn? „Pfui, pfui, pfui“, tuschelt die Schau-Dich-Schlau-Gemeinde auf RTL 2. Wenn das der alte Goethe wüsste. Oder Wim Tölke. Mit „Sport 100“ hat schließlich alles angefangen. Wenigstens gab’s damals noch das Fragezeichen, und Wum und Wendelin sorgten für zwischenmenschlich angehauchte Entspannung.

Ich gebe es zu: Ich habe oft keine Ahnung. Wie sich die Welt organisiert? Warum sie so ist, wie sie ist? Warum ich so bin, wie ich bin? Wie ein drahtloses Computernetz funktioniert? Ein Kernkraftwerk? Beziehungen? Oder die Fruchtfolge in der ökologischen Landwirtschaft? Wer 1938 Fußballweltmeister war? Ob es 1938 überhaupt eine Fußballweltmeisterschaft gegeben hat? Ob Griechenland noch zu retten ist? Was um Himmels willen in Syrien los ist? Wie die „Flüchtlingskrise“ zu meistern ist? Wie man Pegida begegnen sollte? Fragen Sie mich nicht – ich weiß es nicht.
Dies gilt auch, wenn es um die Nr. 1 der aktuellen Charts geht. In der Lebensmitte dümple ich im Niemandsland zwischen Top of the Pops und der Krone der Volksmusik. Zu alt zum Bandscheiben gefährdenden Rappen, zu jung zum ungenierten Schunkeln.

Beim alltäglichen Antworten geht es längst nicht mehr allein um epochale Rätsel wie „Sein oder nicht sein?“, „Parkett oder Loge?“ oder „Darf es etwas mehr sein?“. Die Tücken des Alltags lugen aus den unscheinbarsten Ecken. Stets bereit zuzuschlagen, wenn sich der arglos Dahintreibende gerade so schön mit seinen Gewohnheiten, Mustern und Liebschaften eingerichtet hat.

Die Welt scheint aus Antworten gewordenen Mysterien zu bestehen, denen auf die Schliche kommen zu wollen, in tiefste Verwirrung führen kann. Und anschließend in die Verzweiflung. Dort angelangt schottet man sich von der Welt ab, wird immer desinteressierter an Menschen allgemein und den nächsten Familienangehörigen im Besonderen – und ehe man sich versieht, hält man die Börse vor Acht für den Gipfel der zwischenmenschlichen Kommunikation.

Antworten können riskant sein und bringen uns oft nicht weiter. Kurz nicht aufgepasst, meißeln sie den dogmatischen Irrsinn in Granit. Die Wissenschaft war schon immer der aktuelle Stand des Irrtums. Das schmälert keineswegs ihren jeweils aktuellen Wert, aber die der Erkenntnis innewohnenden Denk- und Messfehler hat man stets erst einige Jahre später erkannt und sich bei einem Schoppen Wein amüsiert auf die Schenkel geklopft ob der Ahnungslosigkeit seiner Vorgänger und Ahnen.

Wer in dieser Welt überleben will, muss fragen. Auch in der Zeit nach dem Führerschein.
Kinder ab drei wissen, wie das funktioniert.

Text: ©Dirk Biermann