Küchenmeile 2020: Eine Messe ohne Blaupause ist über die Bühne. „Alles gut gegangen“, seufzen die Aussteller. Und die Onliner jubeln angesichts der Möglichkeiten des Digitalen. Und doch wünschen sich alle, dass es wird, wie es war. Doch wie könnte es das?

Natürlich war das nicht die Küchenmeile, wie wir sie kennen und schätzen gelernt haben. Kein Drücken zur Begrüßung, kein vertrauensvolles Aneinanderrücken beim Rotwein zum Feierabend. Die Küchenmeile 2020 war nichts zum Kuscheln. Stattdessen Abstand, Handhygiene und Alltagsmaske. Aber das war dem Anlass entsprechend angemessen und hat durchweg gut funktioniert. Ich möchte nichts verharmlosen, doch in keiner der von mir besuchten Ausstellungen fühlte ich mich gesundheitlich gefährdeter als bei einem Wochenendeinkauf im heimischen Bioladen. Und so lautet mein persönliches Fazit: Ich fand es völlig in Ordnung, dass die Hausausstellungen der Küchenmöbelhersteller und die Architekturwerkstatt geöffnet waren. Die Zahl der Besucher konnte – soweit von mir beobachtbar – gut gesteuert werden, und die Hygienekonzepte waren durchdacht und wurden mit Konsequenz und Disziplin eingehalten. Einzelne Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber die gibt es immer.

Gleichzeitig fand ich es richtig, dass Fachmessen wie die area30 in diesem Jahr auf eine Hallenausstellung verzichteten. Bei einer Vielzahl ausstellender Unternehmen wäre das Besuchermanagement doch sehr schwierig zu steuern gewesen. Veranstalter Trendfairs macht seit 10 Jahren einen guten Job, doch der Festplatz von Löhne ist nun mal nicht die Koelnmesse. Die Infrastruktur dieser beiden Orte zu vergleichen, ist irregulär. Wobei natürlich auch die von Internationalität geprägte Lage in Köln ihre Besonderheiten hat. Aber das ist eine Geschichte, die an anderer Stelle erzählt werden wird.

Sofern die Veranstaltungen der Vorjahre der Maßstab waren, dürfte keiner der Küchenmeile-Aussteller zufrieden gewesen sein. Wenn nur 30 bis 50 % der üblichen Besucher anreisen, nagt das am grundlegenden Selbstverständnis einer Messe. Das basiert seit jeher auf Masse und Neukontakte. Immerhin, das melden verschiedene Unternehmen, seien zwar weniger Besucher gekommen, aber die Zahl der einzelnen Handelshäuser sei im Vergleich zu früher gar nicht so sehr zurückgegangen. Statt drei oder vier Abgeordnete eines Möbel- oder Küchen­hauses waren es in diesem Jahr oft nur zwei Personen. Oder Einzelreisende. Andererseits seien viele Messegespräche intensiver gewesen.

Unter dem Strich sehnen dennoch alle die alten Zeiten herbei. Also den Stand vor Februar 2020! Doch ich frage mich: Wie soll das funktionieren? Die letzten neun Monate haben viel auf den Kopf gestellt. Die Corona-Pandemie ist mehr als ein temporäres Ereignis. Sie hat eine tiefe Schneise in unser Zusammenleben geschlagen. Die Gesellschaft pendelt zwischen verdrängendem Wunschdenken, provokant dargebotener Sorglosigkeit und ängstlichem Rückzug. Es mag sein, dass in einigen Monaten ein Corona-Impfstoff zur Verfügung steht und dass in ein oder zwei Jahren ein Großteil der Weltbevölkerung immun gegen dieses Virus ist: Doch was ist mit den mentalen Folgen? Wie wollen wir uns in absehbarer Zeit, wie auf einer Messe ‚einst‘ üblich, in teils dichten Menschenansammlungen treffen? Wo es doch in unseren Köpfen immer normaler wird, dass die Gefahr-Leuchte rot aufflammt, wenn uns ein unbekannter Mensch zu nahe kommt. Der neue Corona-Automatismus. Oder die Fahrt mit der U-Bahn zum Messegelände der Eurocucina? Diese Situation kommt mir beim Schreiben dieser Zeilen in den Sinn. Ist es nicht so, dass wir fremde Menschen zunehmend als potenzielle Virenträger wahrnehmen und damit als gefährlich, während wir uns im engeren Familien- und Freundeskreis recht sorglos fühlen, ganz gleich, wer wo zuvor unterwegs war? Über diese Zusammenhänge sollten wir ins Gespräch kommen, wenn wir einen gesunden Umgang mit den Gegebenheiten finden wollen. Und das sollten wir wirklich: Schließlich wird uns das Corona-Virus von nun an erhalten bleiben. Es verschwindet nicht wieder.

Und so gehe auch ich davon aus, dass ein Nebeneinander von physischer und digitaler Messe künftig Standard sein wird. Mit weiteren konkreten Folgen für das Messewesen. Unter anderem müssen die Firmenbudgets, die früher allein in die Kassen der Messeveranstalter flossen, nun mit zahlreichen digitalen Dienstleistern geteilt werden. Und das bei sinkenden Aussteller- und Besucherzahlen. Wir werden das Thema Messe wohl in großen Teilen neu lernen müssen. Ein Einfaches zurück wird es nicht geben. Die jüngsten Digitalmessen und weiteren Veranstaltungen im virtuellen Raum sind ein Anfang. Wenngleich ein erster – und mit Luft nach oben.

Dirk Biermann

Dieser Text ist als Editorial erschienen in der Ausgabe KÜCHENPLANER 10/11 2020.