Zahlen sind nützlich, um komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge darzustellen. Doch meist wird eine Größe herausgegriffen und weitere Kennzahlen bleiben außen vor. Im Rampenlicht steht bevorzugt der Umsatz. Das kann in diesen Tagen in die Irre führen.

Von den vielen flotten Zitaten der AMK-Mitgliederversammlung gefallen mir diese beiden mit am besten: „Es war ein durchwachsenes Jahr für eine erfolgsverwöhnte Branche.“ Und: „Ich sehe das Inland nicht negativ.“ Das Erste kommt von Dr. Oliver Streit, das Zweite von Werner Heilos. Beide sind AMK-Vorstandsmitglieder.

Beim Branchentreff in Mannheim wurde natürlich viel über das Jahr 2017 geredet. Diesmal stiftete der Blick auf die Zahlen von gestern jedoch ein gewisses Maß an Verwirrung. Vor allem wenn er isoliert praktiziert wird.

Die Küchenmöbelindustrie hat im vergangenen Jahr fast 4 % Umsatz verloren. Genau sind es laut VdDK 3,85 %. Dem Beobachter stockt der Atem, und er ist gleichzeitig irritiert, überschlagen sich die mengenführenden Anbieter der Zunft derzeit doch geradezu mit ihren Erfolgsmeldungen. Ob nobilia, Häcker oder Schüller. Alle sind 2017 erneut gewachsen und konnten selbst im Inland noch dazugewinnen. Stets über Branchenschnitt. Bei Nolte und Bauformat dürfte die Lage ähnlich sein, und auch auskunftsbereite mittelständischere Anbieter wie Leicht, Ballerina oder Rotpunkt Küchen melden Zuwächse. Wer bleibt dann überhaupt noch, dass der Küchenmöbelmarkt in Gänze fast 4 % einbüßen kann?

Richtig: die Unternehmen, die keinen Umsatz mehr melden, weil es keinen gibt. Die Insolvenzen der Alno-Gruppe sowie von zeyko, Allmilmö, Nolff und Nieburg bringen die Statistiken für 2017 an die Grenze der Aussagekraft. Wer sich dennoch allein auf den Umsatz als alleinige Größe zur Beurteilung der Lage beruft, begibt sich auf wackeliges Geläuf und spürt eine Krise, die es in dieser Tragweite gar nicht gibt. Und wenn es sie gibt, dann betrifft sie eher die Küchenmöbelhersteller und weniger die Küchenindustrie an sich. Die verdient nämlich prächtig.

Natürlich: Vor allem der Produktionsstopp bei Alno ab Mitte September hat gehörige Turbulenzen verursacht; vor allem bei den Zulieferern des Küchenmöbelherstellers, der einst für einen Marktanteil von bis zu 16 % gut gewesen sein soll. Der Alno-Wettbewerb war zwar schnell zur Stelle beim Füllen des Vakuums, doch der gesamte Kuchen konnte nicht so mir nichts dir nichts neu verteilt werden. Dafür fehlen schlicht die Kapazitäten, die gerade erst geschaffen werden. Und so vermutet mancher mit schwarzem Humor: Die Alno-Pleite zwei Jahre später hätte niemand im Markt gemerkt. Und auch an der Statistik wäre sie spurlos vorüber gegangen.

Doch nun kämpft die Branche mit diesen „Minus 3,85 % der Küchenmöbler“ und lässt weitere Informationen elegant außen vor. Zum Beispiel, dass der Handel im Jahr 2017 mit Küchen sogar 0,6 % gewonnen hat. Das ist nicht happig, aber immerhin. Dank des Rechenschaftsberichts der AMK ist auch diese Zahl publik. Ebenso, dass der Durchschnittspreis pro Küche in Deutschland im Jahr 2000 etwas über 3.000 Euro lag und heute an der 7.000 Euro-Marke kratzt, und dass 50 % aller Küchen hierzulande in der Preisklasse über 10.000 Euro verkauft werden.

Der Markt in Deutschland ist sicher gesättigter als der in den Regionen zwischen Peking und Shanghai, ihn zum Krisenherd zu erklären, geht aber an der Wirklichkeit vorbei. Zumal die Branche seit acht Jahren ununterbrochen auf der Erfolgswelle schwimmt. Welcher andere Wirtschaftszweig schafft das schon?

O.K. – außer die Autoindustrie. Die kriegt es sogar hin, aus nachweislich betrügerischen Machenschaften Kapital zu schlagen, weil Millionen Diesel-Fahrer ängstlich geworden sind und gedanklich lieber in einen Benziner investieren wollen, anstatt die Küche neu planen zu lassen. Diese Zurückhaltung wird der Küchenbranche 2017 manchen Euro gekostet haben.

Und noch ein Zitat von der AMK-Versammlung steht im Reporterblock. Das Urheberrecht liegt wieder bei Dr. Oliver Streit: „Der Küchenmöbel-Gesamtmarkt hat 2017 deutlich ausgeatmet.“ Ein schönes Bild, setzen wir es fort: … und einfach weiteratmen!

 

Dieser Beitrag ist als Editorial im Magazin KÜCHENPLANER 3/4 2018 erschienen.