„Botnetz“ hätte zum Wort des Jahres 2016 gekürt werden sollen. Technisch wie gesellschaftlich erhält der Begriff weitreichende Relevanz und macht deutlich: Die Welt braucht neue Passwörter.

Wenn die digitale Vernetzung ein Gesicht hat, dann das von Boris Becker. „Ich bin drin“, grinste das Tennis-As einst für AOL von den Werbeplakaten. Das wirkte so unschuldig, so sympathisch, leicht und spielerisch. Wir alle waren hingerissen und wollten es auch, dieses Internet, das unserem Boris so eine kindlich-staunende Freude bescherte. Seit 1999, dem Start der AOL-Kampagne, sind so manche Bits durch die Datenleitungen gerauscht. Das Tennis-Idol aus Leimen hat seither an jugendlichem Charme eingebüßt und das Internet seine Unschuld verloren. Gauner spionieren uns aus, wollen unsere Daten, unser Geld, unsere Meinungen und Sorgen. Und was machen wir Nutzer? Wir stellen uns manchmal naiver an als eine Schar Lemminge, deren Angewohnheit es bekanntlich sein soll, kollektiv in den Abgrund zu hopsen, nur weil einer es vorgemacht hat. Und sei es in der Werbung.

Dennoch ist Boris Becker natürlich nicht an all dem schuld, was in den vergangenen 18 Jahren mit dem Internet passiert ist. Wir können es ihm nicht anlasten, wenn unser Konto leergeräumt wird, nur weil wir vorschnell der etwas holprig formulierten Mail-Einladung unserer Bank gefolgt sind, über das Anklicken der Anhangdatei mit der Endung „.exe“ Zugangsdaten zum Online-Banking zu bestätigen. Und er ist auch nicht verantwortlich, wenn in unserem Namen millionenfach schlüpfrige Nachrichten versendet werden, nur weil wir das so einfach zu merkende „bernd1234“ als Schlüssel für unseren elektronischen Briefkasten gewählt haben. Und die Geschichte des Lkw-Fahrers, der seinen 20-Tonner an einem Fährübergang in den Fluss steuerte, weil es die freundliche Stimme aus dem satellitengestützten Navigationsgerät so anwies? Sie ahnen es: Boris Becker hat auch damit nichts zu tun. Diese Nase, um sich daran anzufassen, gehört jedem Nutzer ganz allein. Der Gebrauch von elektronischen Helfern befreit nämlich nicht vom Mitdenken. Was identisch für die Nutzung von Plattformen wie Facebook gilt oder gelten sollte.

Eigenverantwortung käme auch dem „Internet of Things“ (IoT) zugute. Erst vor wenigen Wochen erfuhr die Telekom was geschieht, wenn Cyber-Kriminelle zumeist schlecht gesicherte „smarte“ Geräte hacken und für eigene Machenschaften nutzen. Dabei geht es nicht allein um die Router der Internetdienstleister, für die wir uns – fälschlicherweise – gar nicht so sehr verantwortlich fühlen. Auch vernetzungsfähige Waschmaschinen und Kühlschränke sind nicht mehr nur Geräte zum Reinigen von Textilien und Kühlen von Lebensmittel. Uns Anwendern sollte bewusst sein, dass es sich dabei um Gegenstände handelt, die mit anderen Gegenständen im weltweiten Datennetz verbunden sind – und eben von Kriminellen illegal zusammengeschaltet werden können, um Computersysteme jedweder Art zum Beispiel mit Mail-Anfragen derart zu überschwemmen, dass sie aufhören zu funktionieren. Womit ein „Botnetz“ in seiner negativen Umsetzung beschrieben ist.

Bislang war der Begriff „Botnetz“ wohl nur wenigen Fachleuten bekannt. Doch das dürfte sich ändern. Das Internet hat schließlich auch seine guten Seiten. Die Aufklärung gehört dazu. Im Moment kursieren im Netz ungezählte Berichte, was mit vernetzbaren Toastern, Backöfen und Wäschetrocknern alles angestellt werden kann. Die Marketingstrategen der Küchenbranche allgemein und der Hausgeräteindustrie im besonderen, sollten dies gedanklich präsent haben, wenn sie das nächste Mal die Vorzüge der smarten Küche lobpreisen. Natürlich ist kein Hersteller eines vernetzbaren Geräts für einen eventuellen Funktionsmissbrauch verantwortlich zu machen. Aber allzu einseitige Jubelbotschaften könnten das grundsätzliche Interesse mancher Kunden in stabile Ablehnung umkehren. Denn viele Internetbeiträge triefen nur so vor Ironie. So funktioniert die Verbreitung von Informationen in unserer Zeit eben. Boris Becker spielt dabei längst keine Rolle mehr.

Wir Nutzer und Anwender haben auch eine Aufgabe. Wir sind aufgefordert, angesichts dieser digitalen Zeitenwende unseren gesunden Menschenverstand sehr gut zu pflegen. Und zu nutzen. Aussagen im Internet zweimal zu lesen, bevor man sie als wahr einstuft, ist sicher eine gute Idee. Einmal im Monat die wichtigsten Passwörter zu ändern, auch. Technisch und mental.

Dirk Biermann

 

Dieser Beitrag ist (ganz leicht anders) als Editorial in der Ausgabe KÜCHENPLANER, 12 / 2016, erschienen.