Sarah* ist 28 und hat ein Problem. Ihr Ehemann ist unordentlich, stets in Eile und fürchterlich vergesslich. Das macht sie rasend, und der Gedanke, ihr Leben lang seine Sklavin sein zu müssen, deprimiert sie. Ein neuer Fall für Frau Ruth von der Sonntagszeitung.

Seit gut einem Jahr sind Sarah und ihr Gatte verheiratet und führen nach Meinung von Sarah eine gute Beziehung. Beide sind berufstätig – und damit fängt der Schlamassel an. Weniger mit dem Tatbestand der Erwerbsarbeit an sich, sondern mit der Zeit, die für beide knapp geworden ist. „Ich bin ordentlich und mag perfekte Organisation“, heißt es in der Klageschrift, ihr Mann hingegen sei unorganisiert, viel in Eile und vergesslich dazu. Ein typisches Beispiel hat sie selbstverständlich parat: „Komme ich von der Arbeit, hänge ich seine Kleidung auf, sammele seine Schmutzwäsche vom Fußboden und räume auf.“ Das möge sie eigentlich nicht und habe versucht, mit ihm darüber zu reden. Doch was redet man: „Erst verspricht er, sich zu bessern“, berichtet Sarah, „aber dann vergisst er seine Versprechungen oder er hat keine Zeit.“ Die Rolle der Sklavin, da lässt wiederum sie nicht mit sich reden, lehne sie kategorisch ab.

Frau Ruth antwortet geschickt und bietet eine Gedankenauswahl.

  1. Es könne nützlich sein, dass der Gatte ein eigenes Zimmer zugewiesen bekommt, für welches nur er allein zuständig ist.
  2. Plan B sieht das Engagement einer Putzhilfe vor. Die dafür veranschlagten 400 Euro im Monat müsse der Ehemann selbstverständlich von seinem eigenen Taschengeld finanzieren.
  3. Sollte er mit keinem der beiden Profitipps einverstanden sein, helfe wohl nur noch die Eheberatung, sagt Frau Ruth. Dort müsse der Gatte Farbe bekennen, „warum er seine Zusagen immer wieder vergisst“. Fragen kämen aber auch auf Sarah zu. Zum Beispiel: „Warum übernehmen Sie immer die Pflichten ihres Mannes – zwar unwillig aber dann schließlich doch?“

Recht so, Frau Ruth, mehrere Beratungsjoker im Ärmel stecken zu haben, adelt den professionellen Rat. Unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten holen die Ratsuchende in ihrer Situation ab – sie fühlt sich gesehen. In diesem Fall stehen gleich drei Wege zur Auswahl: ein eigenes Zimmer für den Gemahl, Putzhilfe und Eheberatung. Was will man mehr, da sollte sich doch was machen lassen.

Andererseits: Hat Frau Ruth vielleicht vorschnell geratschlagt? Es scheint, als habe sie sich recht fix auf die Argumentation der klagenden Ehefrau eingeschwungen. Doch fleht diese Fallschilderung nicht geradezu nach erhellenden Details?

Zum Beispiel die Kleiderordnung: Liegen die Textilien überall im Haus verstreut herum oder sind lokale Zentren auszumachen? Beginnt die Schlamperei direkt hinter der Wohnungstür? Handelt es sich um allgemeine Webwaren wie Mantel und Jacke, Handschuhe, Schal und Mütze? Oder um delikate Stücke wie Hose und Socken? Oder gar um intime Körperwäsche? Oder gestaltet sich die Situation gänzlich anders? Eher so, dass ab und zu ein Kleidungsstück frech aber grundsätzlich unschuldig über den Rand der Schmutzwäschebox im Badezimmer lugt?

Oder der Grad der Organisation: Malträtiert der Gatte die Nerven seiner Mitmenschen durch potenziertes Chaos auf allen Ebenen? Kriegt er nix auf die Reihe, weder den Wochenendeinkauf noch das unfallfreie Öffnen eines Gurkenglases noch den Rosenkauf zum Valentinstag? Oder ist Sarah ein ausgemachter Kontrollfreak, ständig auf dem Sprung, die ungeregelten Aspekte des Lebens zielsicher aufzuspüren wie ein französisches Trüffelschwein die verborgenen Delikatessen und ebenso inbrünstig zu geißeln wie gnadenlos anzuprangern?
Und schließlich die Vergesslichkeit: Nicht jeder hat ein Gedächtnis wie ein Elefant. Ab wann ist es pathologisch? Bis wohin ist eher das Nachträgerische das wahre Dilemma?

All dies sind bedeutsame Indizien und für die abschließende Beurteilung des Falles von grundlegendem Wert.

So viel steht fest: Hinter dem ersten Eindruck lauert ungeklärtes Material. Ist es wirklich so, wie es scheint? Den Gatten wie einen Fünfjährigen ins eigene Zimmer zu verbannen, wo er mit Textilien um sich werfen darf, bis ihm die Hausstaubmilben die Luft zum Atmen nehmen, scheint eher aus der Not geboren. Die Arbeit einer Putzhilfe doktert allenfalls an den Symptomen herum, die Ursachen hingegen bleiben unberührt. Und den Lebenspartner in der Eheberatung an den Pranger zu stellen, hat als Beratungsmethode längst Moos angesetzt.

Und überhaupt: Frei nach dem frei formulierten Bibelzitat „Was mahnst Du den Splitter im Auge Deines Bruders und erkennst nicht den Balken bei dir selbst?“ deutet hier einiges auf ausuferndes Perfektionsstreben hin. Sollte gar am Ende der Gatte das Opfer eines unerkannten Optimierungswahns seiner Frau sein?

Das müsste man mal ergründen, Frau Ruth. Nicht immer gleich antworten.

Dirk Biermann

*alle Namen von der Redaktion geändert